Nach einer Reisenacht, in der wir Stunden am Bahnhof in Basel und im Bus verbracht haben, kommen wir nach Lyon. Der Busfahrer in der Schweiz warnt uns: „Lyon ist eine gefährliche Stadt. Geht immer hausseitig, damit euch der Rucksack nicht geklaut wird“. Dazu kommen wir später noch 😉. Couchsurfing wollte für Lyon einfach nicht klappen und so checken wir in ein B&B mit einem kleinem Zimmer ein, um kurz darauf neugierig in die drittgrößte Stadt Frankreichs einzutauchen. Wir fühlen uns auf Anhieb wohl hier! Es ist bunt und ohne viel Trubel und das durchschlendern und Wahrnehmen mit allen Sinnen macht Freude – viele entspannte und freundliche Gesichter unterschiedlicher Hautfarbe begegnen uns und wir genießen die Melodie dieser schönen Sprache, die wir nur in sehr geringem Ausmaß verstehen. Die Öffi-Tickets werden wir wenig verwenden, dafür viele Kilometer in dem großen (von Unesco als Weltkulturerbe ausgezeichneten) Altstadtviertel zu Fuß erkunden. Eine jüngere Initiative gefällt uns besonders gut: eine Künstlergruppe bemalt (teilweise ganze) Hausfassaden mit unterschiedlichen Themen und Motiven und verschönert so das Stadtbild. Mittlerweile gibt es auch schon in anderen Städten Wandermalereien von diesen Künstlern, u.a. in Wien! Wir versorgen uns mit Baguette und leckeren Sachen aus dem Biomarkt und weihen unseren neuen Gaskocher ein, gegessen wird am Bett – wir sind wieder voll drinnen im einfachen, aber guten Leben 😊!

Nach 3 entspannten Tagen in Lyon geht’s weiter mit dem Oui-Bus nach Avignon – auf in die Provence, eine Gegend die wir schon lange mal besuchen wollten! Hier war unsere Anfrage auf Couchsurfing erfolgreich und Anna-Lisa, eine 22-jährige Geoökologie-Studentin aus Deutschland, die gerade ihr Auslandssemester hier verbringt, empfängt uns in „ihrem“ Haus, in dem sie zurzeit alleine lebt. Ihr Vermieter, François, ist auch kurzfristig eingezogen, um die restlichen Zimmer des Hauses herzurichten und an weitere Studenten zu vermieten. Wir wollten gerade die Couch im Wohnzimmer beziehen als Francois uns wissen lässt, dass er soeben ein Zimmer fertig hat und wir da gerne für die nächsten 3 Nächte einziehen können – wie perfekt! (Für alle, die nicht wissen was Couchsurfing ist: eine Internetplattform auf der man sich vernetzen kann, um eine Schlafmöglichkeit (oftmals die „Couch“) gratis zur Verfügung stellen bzw.  finden zu können und darüber hinaus auch gleich einen Austausch mit „Locals“ zu bekommen). Wir sind Gast hier und doch macht es uns Anna mit ihrer unkomplizierten Art leicht, uns schnell wie zuhause zu fühlen. Unsere Lebensphilosophien decken sich gut und so entstehen gute Gespräche, wir kochen zusammen, trinken viel Yogi-Tee (hilft gegen die Kälte im Haus), lernen uns Kartenspiele und am Hang wird auch regelmäßig gespielt. Das Wetter ist gut an diesen Tagen in Avignon und der kalte Mistral-Wind, der zu dieser Zeit heftig über die Provence fegen kann, ist auch nicht zu stark und so erkunden wir auch hier viel zu Fuß. Avignon ist schon eine spezielle Stadt mit dem „Burgring“ rund um die Innenstadt, den dicken Platanen, die gerade die letzten Blätter verlieren, und dem historischen Flair, den die alten Festungsgemäuer und das über Jahrhunderte abgegangene Kopfsteinpflaster ausstrahlen.

Julia und Anna unternehmen an einem Tag einen Ausflug in das „Colorado Provencal“: Mit Bussen und Autostopp ging’s zu den 1 ½ Stunden entfernten ehemaligen Ockerbrüchen, die – wie der Name schon sagt – an Colorado in den USA erinnern. Nebenbei war es auch ein schönes Eintauchen in die regionale Vegetation, die u.a. von niedrigen Eichen-Wäldern, die großteils schon ihre Blätter verloren hatten, geprägt ist.

Für uns war es interessant zu sehen, wie reif, offen und selbstbewusst Anna mit ihren 22 Jahren dem Leben begegnet. Wenn man sich ihre Geschichten anhört, weiß man auch, woher dieses Vertrauen kommt: Mit 18 Jahren ging sie – mangels einer Vorstellung, was sie studieren möchte – für 1 Jahr nach Kamerun, um in einer Volksschule Kindern beim Englischlernen zu helfen. Nach diesem Jahr war sie um Erfahrung reicher, aber noch immer nicht schlauer was ihr Studium anbelangt. Sie wusste nur, dass sie Französisch lernen will und so reiste sie per Autostopp an verschiedene Plätze in Frankreich, um Menschen zu treffen und dort bei unterschiedlichen Arbeiten auszuhelfen (Lehmhausbau, Bauernhof und als Aupair) – über die Plattform „Workaway“ kam sie zu den Kontakten. Seit dieser Zeit ist sie viel per Autostopp unterwegs. Diesen Sommer nahm sie ihre beiden Schwestern (18 Jahre und 14 Jahre) mit und sie reisten zu dritt per Autostopp nach Spanien, besuchten in Frankreich Freunde und waren nach 10 Tagen wieder zurück in Deutschland. Wenn möglich haben sie draußen im Zelt geschlafen. Ihre Eltern haben sie von Anfang an bestärkt eigene Erfahrungen zu machen und ein Vertrauen in sich selbst, in das Leben und die Welt aufzubauen. Passiert ist ihr nie etwas beim Autostoppen: „Ich hatte kein Glück, sondern einfach kein Pech, das ist ein großer Unterschied.“ sagt sie und wir denken an den Film „Weit“.

Wir erinnern uns wieder an den Busfahrer in der Schweiz, der uns vor dem gefährlichen Lyon warnte und denken wieder darüber nach, wie unterschiedlich man die Welt wahrnehmen kann. Wir alle leben in unserer eigenen Wirklichkeit und was wir erleben ist eigentlich nur eine Beschreibung der Welt, die zuerst durch einen Filter aus Gedankenmustern und unseren Glaubensätzen läuft. Dass das so funktioniert ist natürlich eine wichtige Sache, um mit dem Erlebten nicht ständig überfordert zu sein und schnell reagieren zu können. Aber es kann tatsächlich sehr hilfreich sein, seine eigenen Glaubensätze zu hinterfragen und sich selbst zu fragen, wie gut sie einem tun und zu erkennen, woher sie kommen (Erziehung, Schule, Gesellschaft, Medien, tägliches Umfeld, etc.) und ob wir weiter auf sie zugreifen möchten. Auch zu erkennen, in welcher Form uns Politik und Medien eine Beschreibung der Welt liefern ist hilfreich, um gut auswählen zu können, woher wir Information beziehen wollen und ob uns diese Inputs tatsächlich weiterbringen.

Wir können es konsequent anders denken, die „alten Autobahnen“ im Gehirn weniger befahren und neue Glaubensätze etablieren, wenn wir wollen – das ist eine starke Form der Selbstermächtigung, da wir niemand anderen dazu brauchen. Am effektivsten sind eigene Erfahrungen, auf die wir möglichst unvoreingenommen (ohne den Filter anderer, die uns vielleicht schon erzählen wie dieses oder jenes ist) zugehen wollen. Unvoreingenommenheit, das heißt eine Wahrnehmung der Welt ohne Filter, ist auch eine schöne Beschreibung für Meditation bzw. eine meditative Wahrnehmung. Das hat also dann wenig mit Passivität und nur „still sitzen“ zu tun als vielmehr mit einem stabilen Zugang zur inneren Stille, ohne der ständigen Interpretation der Welt durch unsere Gedanken.

In diesem Sinne wünschen wir euch Gedanken, die euch gut tun und Vertrauen – wir alle sind im Leben daheim!

PS.: Zum Schluss noch etwas Technisches: Beim Anmelden für die Benachrichtigung bei einem neuen Blogbeitrag (=> dazu gibt es auf der Blog-Startseite in der rechten Spalte eine Anmelde-Möglichkeit), gibt es Probleme: Leider scheint die Anmeldung bei einigen nicht geklappt zu haben – derzeit wissen wir nur von 2 Personen, aber die Dunkelziffer wird deutlich höher geschätzt 😉. Wer bisher noch keine Benachrichtigung bekommen hat (sich aber eingetragen hatte) schreibt am besten an info@jetztnichtmorgen.com ein kurzes Mail, dann fügen wir euch einfach manuell hinzu!